Die Bio-Beeren-Familie in Benken ZH
Der Familienbetrieb «Räss Wildbeeren» aus Benken ZH kultiviert sortenreich Beeren und Trauben. Sie pflegt zudem ein gastfreundliches Zusammenleben mit den zahlreichen Erntehelfenden, die auf dem Hof ein Zuhause finden.
Erdbeeren, Himbeeren, Brombeeren, Heidelbeeren, Stachelbeeren, Goji, Aronias, rote, weisse Johannisbeeren und die schwarze Cassisbeere reifen unter den fleissigen Händen der Familie Räss und ihrem Team heran. Auf 30 Hektaren gedeiht alles in grosser Vielfalt. Die Beerensaison beginnt mit Erdbeeren Mitte April und endet mit den Himbeeren Ende November. Simon Räss ist zufrieden: «2020 ist das erste richtig gute Jahr mit Vollertrag. Im Juli gingen täglich 5 000 Schalen à 250 g Bio-Beeren raus». Zudem werden sechs Hektaren mit pilzwiderstandsfähigen Bio-Traubensorten bestellt, mehrheitlich für das mit verschiedenen Preisen ausgezeichnete Bio-Weingut Lenz. 75 Prozent der Anbauflächen befinden sich im direkten Anschluss an den Hof, was die Logistik vereinfacht. Einige alte Hochstämmer liefern Zwetschgen und Äpfel. Ein prächtiger Nussbaum spendet Schatten beim Hof. Mehrere Katzen halten die Mäuse fern. Die beiden Geisslein Molly und Mira sowie zwei Schafe geniessen Familienanschluss.
«Wir sind ein Familienbetrieb im Schweizer Nischenmarkt Bio-Beeren und die soziale Komponente hat für uns einen hohen Stellenwert»
Familie Räss
Bio-Beeren aus dem Weinland
Benken liegt im Zürcher Weinland, wo das Klima mild und trocken ist. Durch die Nähe zum Rhein, zum Rheinfall und dem Randen als Juraausläufer, regnet es deutlich weniger, als in benachbarten Regionen. Der sandige Kiesboden wärmt sich schnell auf. «Wir haben ideale Voraussetzungen für den Beerenanbau», bestätigt Simon Räss. In dritter Generation führt er gemeinsam mit seinem Bruder Christoph den Hof. Mit Chrisophs Partnerin Michelle Schumann, den Eltern, zudem gut 60 Helferinnen und Helfer sowie ein bis zwei Lernende bilden sie die Bio-Beeren-Familie. Bis ins Jahr 2013 betrieben die Eltern Marianne und Hans reinen Ackerbau. Dann kam schrittweise die Wende. Die junge Generation zeigte viel Initiative. «Der Hof war gut im Schuss und trotzdem hat uns die Idee mit den Bio-Beeren dermassen fasziniert, dass wir nach kleinen Tests innert kürzester Zeit alles umstrukturiert haben», erzählen die Brüder und ergänzen: «Anfangs war das wie ein Befreiungsschlag mit grossem Marktpotential und viel Risikofreude!». Sie hatten eine Nische entdeckt und kultivierten als schweizer Ausnahme Aronias und Gojis.
Herausforderungen
«Wir sind schnell gewachsen und haben viele Rückschläge weggesteckt. Laufend optimieren wir die Abläufe. Das geht nur, weil alle mitanpacken!», unterstreicht Simon und fährt fort: «Wir mussten beispielsweise damit leben, dass wir die grosse Nachfrage nach Bio-Beeren bei weitem nicht abdecken können, auch wenn 2020 das erste Jahr mit Vollernte ist». Ernteausfälle durch Spätfrost, Hagel, zuviel Regen, schlechtes Pflanzmaterial und auch Schädlinge sind anschauliche Beispiele. Jedenfalls haben die Jungunternehmer laufend dazugelernt und Lösungen entwickelt. Schädlinge werden erfolgreich durch Nützlinge bekämpft. Die um die Parzellen angelegten Steinhaufen zur Förderung der Biodiversität bewähren sich: Raubmilben gegen Spinnmilben, Marienkäfer und Florfliegen gegen Läuse. Manchmal werden ganze Felder mit Schutznetzen eingepackt. Besonders anfällig erwiesen sich Cassis- und Brombeeren. «Es ist Nervensache, zu warten, bis die Massnahmen Wirkung zeigen, aber bisher funktionierte es sehr gut», erklärt Simon.
Aufgabenteilung
Simon und Christoph ergänzen sich als Jungunternehmer in ihren Stärken. Simon ist Experte für den Pflanzenschutz und weiss, welcher natürlicher Dünger sich für welche Beerenart eignet. Die Möglichkeiten sind vielfältig: Hühnermist, Rindergülle, Vinasse (organische Nährlösung) etc. Sein Bruder Christoph hat als Maschineningenieur ein Händchen für Motoren und Gerätschaften. Er kümmert sich um die Maschinenarbeit und die Werkstatt. Chrisoph hat sogar eine Pflanzmaschine für Aroniastauden entwickelt. Besonders für die Unkrautbekämpfung werden verschiedene Hackmaschinen eingesetzt. Die Beerenlese ist reine Handarbeit. Michelle kümmert sich um die Vermarktung der Ernte samt Hofladen. Sie ist auch zuständig für die Buchhaltung und das Personal: «Seit 2019 beliefern wir den Rägeboge mit Tafelbeeren und Trauben, Glacé und Honig». Wenn sie nicht gerade administrativ beschäftigt ist, kocht sie Gonfi ein und stellt Glacé her. Neben dem Rägeboge werden namhafte Unternehmen beliefert, die Säfte, Glacé, Müesli und auch Spagyrik herstellen. Zusammen mit Marianne, der Mutter von Simon und Christoph, koordiniert sie die Kantine. Marianne ist die Rebspezialistin und für das leibliche Wohl zuständig. Dreimal die Woche werden die Beeren erntefrisch in den Rägeboge geliefert. Vater Hans ist der Allrounder und überall zur Stelle, wo man ihn braucht.
Familie auf Zeit
25 Polnische Angestellte leben direkt auf dem Hof. Zu Feiertagen und im Winter fahren sie zu ihren Familien und sonst sind sie Teil der grossen Bio-Beeren-Familie in Benken. Es gibt für sie praktische Wohnungen und auch Gemeinschaftsräume. Der Tag beginnt um 7.30 Uhr mit einem Kaffee für alle und der Aufgabenverteilung. Die Verständigung ist nicht immer einfach. Neben Deutsch und Polnisch ist auch Englisch zu hören. Während der Erntesaison hat die Arbeitswoche 55 Stunden. Um 18 Uhr ist Feierabend auf den Feldern und in der Produktion – dann werden die Arbeitspläne für den nächsten Tag erstellt. Eine tägliches orchestrieren der vielen Teilzeithelfenden. Bis zu 40 Thailänderinnen kommen nach Bedarf zur Beerenernte. Sie leben in der Region und ergänzen die Festangestellten und die Lernenden. Zwei Küchenhelferinnen und Mutter Marianne bringen täglich bis zu 35 vollwertige Menüs pünktich auf den Tisch. Donnerstags gibt es polnische Spezialitäten. Familie Räss ist sich einig: «Wir arbeiten alle körperlich. Uns ist es darum wichtig, für alle eine warme Mahlzeit zur Verfügung zu stellen». Dafür wurde im ehemaligen Kuhstall eine vollwertige Kantinenküche eingerichtet. Die Wintermonate sind ruhiger und die Familie ist unter sich. Nur die Lernenden sind mit ihnen auf dem Hof. Das ist die Zeit des Aufräumens. Die Folientunnels werden abgebaut, Maschinen revidiert und der Winterschnitt erfolgt.
Beeren sind Superfood
Superfoods zeichnen sich aus durch ihre Dichte an Nähr-, Wirk- oder Vitalstoffen. Idealerweise sind sie naturbelassen und stammen aus Bio-Erzeugung. Beeren gehören nicht zufällig zu den Superfoods. Goji gelten als Jungbrunnen, da sie reichlich Antioxidantien, Mineralien und Vitamine enthalten. Neben den Vitaminen A, B, C und E steckt in ihnen auch 1,5 Mal so viel Kalzium wie in Kuhmilch. Mit rund 12 Prozent enthalten die Superfood Beeren von allen Pflanzen am meisten Proteine. Blaubeeren sind reich an Antioxidantien, die freie Radikale binden, geschädigte Zellen reparieren, vorzeitiger Hautalterung entgegenwirken und sogar das Wachstum von Krebszellen hemmen. Heidelbeeren enthalten viel Vitamin C, haben wenig Kalorien, Fett und Kohlenhydrate. Aronias sehen aus wie Heidelbeeren, schmecken aber herber. Die enthaltenen Flavonoide wirken antioxidativ und kurbeln die Zellerneuerung an, was unter anderem zu einem frischen Hautbild führt.
Wann sind die Beeren erntereif? Bei den Aronias und den Trauben wird der Zuckergehalt gemessen. Michelle lacht: «Für alle anderen Sorten haben wir eine fortlaufende Degustation».
Fotos: Karin Witschi
Text: Claudia Schreiber
Sobald Beeren Saison haben, sind sie im Bio.Markt
Sortenreich kommen und gehen die dunkelroten, violetten, blauen, schwarzen und süssen Bio-Beeren. Da heisst es: zugreifen und geniessen!