Werte über Profit
Das Gut Rheinau an der nördlichen Grenze des Kantons Zürich ist ein Demeterbetrieb. Die sieben Betriebsleitenden legen Wert auf eine vielseitige biologisch-dynamische Landwirtschaft, die eine in sich geschlossene Hofindividualität ermöglicht.
Das Gut Rheinau ist ein Ort, der Wohnen, Arbeiten, Lernen, Therapie und noch viel mehr vereint. Ein Kreislauf darf entstehen, der die Natur und alle Lebewesen achtet. Es liegt idyllisch an der Rheinschlaufe, die sich um das historische Kloster von Rheinau windet. Erwirtschaftete Gewinne werden in Boden, Tiere und in das menschliche Zusammenleben reinvestiert. Das Gut Rheinau wird als GmbH in einer Pächtergemeinschaft geführt und entstand 1998 als eines von sechs Fintan Betrieben. Ziel des Projekts Fintan und der gleichnamigen Stiftung ist die bewusste Zusammenführung von biologisch-dynamischer Landwirtschaft und Sozialtherapie. Weitere Schwerpunkte liegen in der Kunst, in der Wissenschaft und in der Bildung.
«Wir leben und arbeiten, dass ein Gleichgewicht zwischen den wirtschaftlichen Möglichkeiten und den Bedürfnissen der Natur und des Menschen möglich wird. Das ist ein ganzheitliches Konzept, das weit über die Bio-Zertifizierung hinaus geht.»
David Jacobsen
Vom Feld
Auf den Feldern und Hängen des 121 Hektar grossen Guts gedeihen Gemüse, Obst und Wein sowie alle Getreidearten der Schweiz. Das Getreide gelant auch in die Hofeigene Backstube. Zusätzlich zu den Getreiden werden Buchweizen, Lein und Hirse für die Saatgutvermehrung in Zusammenarbeit mit dem Fintan-Betrieb Sativa AG angebaut. An die 30 bis 40 Arten Gemüse in insgesamt über 100 Sorten werden im Einklang mit den Lebensräumen von Insekten, Vögeln und Wildtieren auf 73 Hektaren kultiviert. «Wir wollen lieber Qualität als Quantität und verwenden ein Minimum an biologischem Dünger und Spritzmittel», betont David Jacobsen, der in der Betriebsleitung für den Gemüseanbau und die Vermarktung aller Produkte zuständig ist. Treibhäuser gibt es nicht auf dem Gut, das auf Freilandbeete setzt. Da Blumenkohl und Brokkoli ohne Dünger kaum gedeihen, hat das Gut Rheinau Wiesenmulch getestet und gute Erfahrungen gesammelt. Der Mulch wird dick ausgebracht und die Setzlinge direkt hineingepflanzt in doppelter Pflanzdichte. Das düngt den Boden und verdrängt ungewollte Beikräuter. David verdeutlicht «Der biodynamische Ansatz will die Pflanze aus dem Erdreich nähren und nicht über das Wasser. Das wäre quasi eine Zwangsernährung». Um die Erde zu nähren werden biologisch-dynamische Präparate eingesetzt. Im Winter wird Hornmist in die abgeerntete Erde vergraben. Heranreifende Pflanzen erhalten im Frühling zusätzliche Mineralstoffe durch ein Gemisch aus Hornkiesel und Bergkristall. Im Hofladen wird die ganze Pracht der Ernte sichtbar. Alle hofeigenen Produkte sind in Demeterqualität. Abnehmer sind Restaurants, darunter auch die Fintan-Mensa, Marktfahrende, Reformläden und Biofachgeschäfte. Der Rägeboge steht seit vielen Jahren mit wechselndem Sortiment auf der Abnehmerliste. Aktuell gelangen vorallem Zwiebeln, Kartoffeln und Karotten in den Rägeboge.
Sind Schädlinge wirklich schädlich?
«Läuse schaden dem Gemüse, sind in der Nahrungskette jedoch wichtig », weiss David. Auf dem Demeter-Hof wird die erste Ernte, die oft stark durch Läuse befallen ist, der Natur quasi geschenkt. Befallenes Gemüse gelangt vereinzelt trotzdem in den Verkauf mit entsprechender Kennzeichnung, denn nach einer etwas aufwändigeren Reinigung ist es durchaus geniessbar. Bei den Folgeernten stellen Läuse kein Problem mehr dar. Dann sind bereits die Nützlinge wie Marienkäfer unterwegs und halten sie in Schach. Der Drehherzgallmücke und den Erdflöhen ist mühsamer beizukommen. Ganze Gemüsekulturen wie Blumenkohl und Brokkoli werden mit Netzen eingepackt, um sie vor Ernteausfällen zu schützen. Im Jahr 2020 musste dieser Aufwand ausnahmsweise nicht betrieben werden, denn die beiden Schädlinge traten nicht auf.
Auf der Weide und im Stall
Gegen 60 glückliche Kühe mit Hörnern, 70 Rinder und bis zu 3 Stiere gehören zum Hof. David erklärt: «Die Kuhhörner verursachen weniger innere Verletzungen und dienen als Kommunikationsmittel sowie für den Abtransport von Verdauungsgasen.» Einige Kühe verbringen den Sommer auf der Alp im Simmental. Von dort kommt der Alpkäse. Milchprodukte sind gefragte Nahrungsmittel und dafür braucht es Rinder. «Wir setzen auf Mutter und Ammen gebundene Kälberaufzucht in der Milchviehhaltung», hält der Landwirt fest. Die Frischmilch ist in Glasflaschen auch im Rägeboge erhältlich. Der Grossteil wird in der Biomolkerei Biedermann in Bischofszell weiterverarbeitet. Die Ziegenmilch der 14 Ziegen verkauft sich direkt ab Hof – so auch der feine selbstgemachte Frischkäse. Zudem gibt es 50 Hühner, 8 Therapiepferde, 20 Bienenvölker und gegen 20 Schweine. David dazu: «Wir züchten eine eigene Rasse, die draussen lebt, krankheitsresistenter ist und gefüttert mit den Resten der Gemüse- und Saatgutproduktion, trotzdem einen schönen Schlachtkörper aufweist. Sie werden erst nach einem Jahr geschlachtet. Üblich sind sechs Monate.» Die Schweine werden durch Hans und Wurst als Störmetzg verarbeitet. Das ist ebenfalls ein Fintan Betrieb.
Die Hofgemeinschaft
Auf dem Gut Rheinau teilen sich 30 Personen 20 Vollzeitstellen. Die 7 Betriebsleitenden und 5 Lernende miteingerechtnet. Lehrstellen werden angeboten in den Berufen Landwirt, Gemüsegärtner und Winzer. Saisonstellen gibt es keine. Das entspreche nicht der Philosophie der Hofgemeinschaft, erklärt David. Er lebt mit seiner Familie auf dem Hof, wie auch viele weitere Personen, aber nicht alle. Gemeinsam gestalten sie den interessanten, lebendigen und individuellen Lebens- und Arbeitsraum. Ein wichtiger Partner ist der sozialtherapeutische Betrieb der Stiftung Fintan. Er bietet auf dem Gut Rheinau geschützte Wohn-, Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten an. Menschen, die durch die Sozialtherapie begleitet werden, arbeiten nach individuellen Möglichkeiten auf dem Hof mit. Sie helfen im Stall, auf dem Feld, in den Reben, im perma-dynamischer Waldgarten, bei den Hühnern und in der Chorbgruppe. Zudem gibt es pferdegestützte Therapien durch Reittherapeutinnen, die auch Auswärtigen zugänglich sind.
Fotos: Karin Witschi
Text: Claudia Schreiber
Je nach Saison ein wechselnden Angebot
Der Rägeboge steht seit vielen Jahren mit wechselndem Sortiment auf der Abnehmerliste: Zwiebeln, Kartoffeln und Karotten. Die Frischmilch ist in Glasflaschen erhältlich.